Praxisforschung zur Handsense?
Die Sense hat sich jahrhundertelang in der Praxis bewährt.
Gibt es da noch was zu „verbessern“?
Die technischen Möglichkeiten sind heute um Welten andere. Was vor hundert Jahren möglich und sinnvoll war, muss es heute nicht mehr sein. Dabei ist mir wichtig, dass die Handsense weiterhin ein konviviales Low-Tech Werkzeug bleibt – und keine „black box“ an der mensch nichts mehr selbst reparieren und ändern kann. Denn diese Einfachheit mach für mich einen großen Teil der Faszination für dieses Werkzeug aus. Die Sense hat sich in ihrer Bauweise seit ihrer „Ablösung“ durch motorisierte Mähsysteme Mitte des letzten Jahrhunderts praktisch nicht verändert, da sie mehr oder weniger ausgemustert, im Schatten des allgemeinen Interesses lag. Dadurch erkläre ich mir noch vorhandene Potenziale vor allem in den Bereichen Ergonomie und Verstellbarkeit beim Sensenstil. Die früher möglichen Herstellungsweisen und Materialien ließen diese Potenziale nicht zu.
Grundlage für eine „Praxisforschung“ ist ein tiefes Verständnis der Funktionsweise und Ergonomie der Handsense. Eine Bewegungsanalyse kann das komplexe, konzertierte Zusammenspiel der Mähbewegung(en) erfassen und anschaulich machen. Ebenso notwendig sind präzise Begrifflichkeiten, die im Zweifel neu abgeleitet/ gesetzt wurden. Eine gründliche theoretische Durchdringung und Beforschung der Kulturtechnik der Sense und deren Bauweisen wäre sicher fruchtbar. Es gibt, meines Wissens, kein Forschungsvorhaben, das sich z.B. mit der komplexen Bewegungs- und Funktionweise beim Mähens mit der Handsense auseinandersetzt*¹. Wäre es nicht sinnvoll, wenn z.B. Sportwissenschaftler*innen sich dem Thema widmen würden? Es wäre eine besonders sinnvolle und gesellschaftlich relevante Aufgabe, verglichen mit üblichen Fragestellungen in diesem Bereich – so meine Meinung… Da gibt es die feinsten Analyseverfahren und Methoden. Es bräuchte nur ein Quentchen davon, ohne die Bodenhaftung, den Praxisbezug zu verlieren.
Mit der „Forschungssense“ für Testzwecke (komplett um alle Achsen und Längen verstellbar) wurden erste Erfahrungen gesammelt, die in die Entwicklung von vornehmlich ergonomischen Sensenbauformen einflossen. Die Testergebnisse und Erfahrungen aus den Jahren 2021 und 2022 mündeten bereits in diverse Entwicklungen.
weiterführende Fragen, Ideen, Exprimente…
… die darauf warten im Verbund mit anderen Menschen, Institutionen und Co angegangen zu werden.
A) Ergonomie, Bewegungsweise, Schneidprozess
Das Zusammenwirken von Mensch und Werkzeug, der menschliche Bewegungsablauf samt Schneidprozess im Fokus
-
Warum sieht die Handsense so aus, wie sie aussieht? Wie ist die Vielzahl regionaler Bautypen zu erklären? Welchen Anforderungen an Umweltbedingungen, Bewirtschaftungsart und regionaler Herstellungsweise werden sie gerecht? Wie viel Kultur und Tradition spiegelt sich in Ihrer Verschiedenheit? Was sind die Gemeinsamkeiten und grundlegenden Funktionsweisen dabei?
-
Was sind die Bewegungskomponenten des Mähprozesses und welche Rolle haben sie im Zusammenspiel? Welche Bewegungsmuster und -varianten gibt es in der Praxis und je nach Anwendungsaufgabe?
-
Welchen Einfluss hat die Formgebung des Sensenblattes (der Schneide) beim Mähen? Was sind weitere Einflussgrößen (Länge, Breite, Längswölbung, Querwölbung, Hammenstellung, Masse/ Massenverteilung im Gesamtsystem, etc.) und welche Auswirkungen haben sie?
- …
B) Wetzen und Schärfen
Wetzen als entscheidende Technik zum Erhalt einer scharfen Schneide mit „unsichtbarem“ Wetzergebnis (sehr kleine Schneidfasen – Lupe nötig!). So wird wohl meist zu viel vom mühsam erzeugten Dangel abgewetzt – zumindest wäre das besser, als zu wenig.
-
Abrasivität vonWetzsteinen messen per Abwetzversuch:
Anzahl an Wetzdurchgängen bis definierte Länge an Dangel (z.B. 1,0 mm) abgewetzt ist; definierter Dangel (Schlagdengler, 0,20 mm), definierte mechanisierte Bewegung, definierter Anpressdruck, etc.
==> Empfehlungen für passende Kombinationen von Wetzstein und Sensenblatt/ Dangel erarbeiten -
Schliffbilder der Schneide verschiedener Dangel-Wetzstein-Kombinationen und deren Vor- und Nachteile, deren Einsatzmöglichkeiten/ Tauglichkeit beurteilen
-
Vor- und Nachteile verschiedener Wetztechniken/ -bewegungsweisen und deren Folgen (Flankenwinkel, Grate, Schliffbilder, etc.) erheben
- …
C) Dengeln und die Materialqualität des Sensenblattes
Dengeln als notwendige Vorbedingung für ein erfolgreiches Wetzen und für höhere Standzeiten der Schneide. Dengeln als Nadelöhr das Potenzial der Handsense zu nutzen und die Kulturtechnik zu verbreiten.
-
Welches Potenzial hat der Schlagdengler um das Dengeln zu vereinfachen? Unter welchen Bedingungen/ durch welche Maßnahmen kann auf ein diffiziles händisches Feindengeln ganz verzichtet werden? Ansatzpunkt: Einsatz verschiedener Hülsen und deren Formgebung
-
Dengelservice als möglicher Hebel zur Verbreitung der Kulturtechnik: Welche Verfahren helfen Menschen beim Bearbeiten größerer Zahlen an Sensenblättern? Entwicklung einfacher Dengelapparate
-
Frage der Stahlsorte als entscheidendes Kriterium für Dengel- und Reparierbarkeit, Standzeit und Verletzungsanfälligkeit: Welche Stahlsorten sind besonders geeignet? Welche Eigenschaften haben sie? Wie kann ich günstige Stahlsorten/ entscheidende Eigenschaften (Härte)als Normalmensch detektieren?
- …
D) ergänzende Fragen
Weiterführende, nicht-technische Fragen zur Kulturtechnik der Handsense.
-
Eine umfassende Darstellung der Verbreitung und Vielfalt von Sensenformen (-blätter, -stile, ergänzende Werkzeuge) in Zeit, Raum und Kontext; Die Kulturgeschichte von Sense und Sichel; die Sense als Symbol
-
Was macht die Sense zum konvivialen Werkzeug? Was macht die Nutzung der Handsense mit der Nutzer*in? Und wie unterscheidet sich dies vom Einsatz motorisierter Mähwerkzeuge und (Groß-)Maschinen?
-
Warum erfährt die Kulturtechnik der Handsense in letzter Zeit vermehrt Interesse? Warum wollen Leute mit der Sense tätig sein?
-
Wie kann eine Verbreitung dieser Kulturtechnik unterstützt werden? Was braucht es dazu an konkreten Informationen/ Inhalten/ Formaten, an Material, an Infrastruktur, an Organisation und an Kultur? Und braucht es einbettende „Metainfos“ zu den Chancen und Grenzen von Subsistenz, einfacher Technologie und Konvivialität? Oder steckt das implizit, selbsterklärend in solchen Werkzeugen und Praktiken bzw. im „kulturellen Erbe“ des Menschen?
- Wie werden junge Menschen erreicht und ermächtigt, damit sie die Potenziale der Kulturtechnik erfahren und nutzen?
- …
___
*¹ Wobei ich mir hier, ehrlich gesagt, noch keine umfängliche Mühe machte außerhalb von Google und Co zu recherchieren! Vielleicht gibt es dazu also bereits Abhandlungen, insbesondere außerhalb des deutschsprachigen Raumes…